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Meine Meinung...

Die Rutschung am Messingberg im Steinbruch Steinbergen vom Dezember 2004


Im Steinbruch Steinbergen der Norddeutsche Naturstein GmbH ereignete sich am Abend des 11. Dezember 2004 eine Rutschung, bei der sich nach Schätzung der Steinbruchbetreiber an der Steilwand über eine Länge von ca. 300 m rund eine Million Tonnen Gestein löste (detaillierte Informationen z. B. unter http://www.weserberge.de/). Seit etwa neun Jahren werden an dieser Wand Verschiebungen registriert, die zur Öffnung vertikaler Spalten in Größenordnungen von Dezimetern bis Metern führten. Zwecks Vermeidung befürchteter Rutschungen wurden im Laufe der letzten Jahre mehrere Sprengungen vorgenommen, mit deren Hilfe bereichsweise ein Widerlager am Fuß geschaffen wurde. Tatsächlich konnte eine erhebliche Reduzierung der Verformungsgeschwindigkeiten erreicht werden.

Die Rutschung ereignete sich in einem Bereich, wo noch keine Sprengungen vorgenommen und auch keine Verformungen festgestellt worden waren. Zwar wird in einem 1999 erstellten Gutachten eine latente Rutschgefahr nicht ausgeschlossen, aber mit einer Rutschung hatte jetzt niemand gerechnet. Dementsprechend überrascht äußerten sich Gutachter und Steinbruchbetreiber. Die „innere Dynamik“ des Bergs sei unterschätzt worden.


Bemerkenswert:
An einem nur wenige Kilometer entfernten Steinbruch, der Wülpker Egge, hat es vor wenigen Jahren in der identischen geologischen Formation und unter ansonsten direkt vergleichbaren Randbedingungen ebenfalls spektakuläre Rutschungen gegeben. Der zur Analyse dieser Rutschungen beauftragte und nach Abschluss seiner Arbeiten im Steinbruch Steinbergen tätige Geologe hat jedoch die Rutschung am Messingberg „ in seinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten“ (Schaumburg-Lippische Landeszeitung vom 14. Dezember 2004).

Haben die Gutachter versagt?

Auch wenn es vermessen klingt: für mich stellt die Rutschung keine Überraschung dar. Als Bauingenieur der eher seltenen Fachrichtung „Felsmechanik“, der die Geschehnisse in Steinbergen und an der Wülpker Egge seit längerem interessiert verfolgt, darf ich mir dieses Urteil erlauben.

Werden hinreichend geneigte Schichten abgebaut , wie es sowohl am Messingberg als auch an der Wülpker Egge der Fall ist, ist stets von einer Rutschgefahr auszugehen. Werden zudem gleitgefährdete „Schmierschichten“ angeschnitten, kann die Rutschung bereits bei geringer Schichtneigung auftreten. Das sind einfachste mechanische Zusammenhänge. Es kommt hinzu, dass die Gleitfläche seit längerer Zeit bekannt ist. In beiden Steinbrüchen ist es die Grenzflächen zwischen den Heersumer Schichten und dem überlagernden Korallenoolith. Warum waren die Gutachter dann so überrascht?

Ich vermute , dass man sich auf die Messungen verlassen hat und dabei einem fatalen Fehlschluss erlegen ist. Verschiebungsmessungen können zwar durchaus sinnvoll sein, verleiten aber häufig zu der falschen Schlussfolgerung, dass der Berg sicher sei, sobald keine (großen) Verformungen auftreten. Richtig ist, dass Verformungsmessungen keine Rückschlüsse auf die Höhe der Sicherheit zulassen - die eingetretene Rutschung ist der beste Beweis. Dies hätte den Verantwortlichen bzw. den Gutachtern bekannt sein müssen.

Es muss bezweifelt werden, dass überhaupt schon einmal ingenieurmäßige Standsicherheitsuntersuchungen - sowohl den Messingberg als auch die Wülpker Egge betreffend - durchgeführt wurden. Unter Standsicherheitsuntersuchungen verstehe ich allerdings keine „verwissenschaftlichte“ geologische Ursachenforschung, deren praktische Verwendbarkeit begrenzt ist. Ich meine damit Standsicherheitsnachweise, wie sie tagtäglich von Bauingenieuren für verschiedenartigste Bauwerke durchgeführt werden. Als Ergebnis von Standsicherheitsberechnungen erhält man eine Zahl, die die Höhe der Sicherheit charakterisiert. Dabei kennzeichnet eine Sicherheit von 1,0 das Grenzgleichgewicht, bei dem Versagen eintritt. Bauwerke - und dazu zählen beispielsweise auch Böschungen - müssen in jedem Fall Sicherheiten größer als 1,0 aufweisen. Die Höhe der erforderlichen Sicherheit richtet sich nach diversen Randbedingungen und ist zum großen Teil in Normen festgelegt.

Jede genehmigungspflichtige Baumaßnahme an Böschungen im Locker- oder Festgestein erfordert die Aufstellung von Standsicherheitsnachweisen. Wäre der Berg nicht durch einen Steinbruch sondern zum Beispiel durch eine Straße angeschnitten worden, hätten selbstverständlich Standsicherheitsnachweise vorgelegt werden müssen. Wird ein Gebäude an einer Böschungsoberkante errichtet, muss zuvor die Standsicherheit der Böschung nachgewiesen werden. Für Steinbrüche werden hingegen üblicherweise keine ingenieurmäßigen Standsicherheitsuntersuchungen durchgeführt und auch von der Aufsichtsbehörde nicht gefordert.

Dabei muss allerdings auch klar sein, dass die erzielbare Genauigkeit von Standsicherheitsberechnungen im Fels beschränkt ist. Es handelt sich deshalb eher um Abschätzungen als um Berechnungen. Ich selbst habe stets die „Zahlengläubigen“ kritisiert, die eine rechnerisch ermittelte Sicherheit von 1,49 nicht akzeptieren und erst zufrieden sind, wenn die in den Vorschriften geforderte Sicherheit von 1 ,50 auf dem Papier steht. Aber es ist ganz entscheidend zu wissen, ob die Standsicherheit zum Beispiel nahe bei 1,0 liegt oder ob sie die Größenordnung von 2,0 erreicht. Nachdem sich 1996 die ersten Bewegungen gezeigt hatten und ich daraufhin das Trennflächengefüge mit dem Geologenkompass aufgemessen hatte, war mir klar, dass die Sicherheit am Messingberg nur geringfügig über 1,0 liegen konnte.

Eine Beobachtung im Zusammenhang mit dem Bau des Steinzeichens veranlasste mich schließlich im Januar 2000, meine Forderung nach Durchführung von Standsicherheitsuntersuchungen in einem an den Steinbruchbetreiber gerichteten Schreiben zu formulieren und auf die genannten Zusammenhänge hinzuweisen. Zwei Zitate: „Unseres Erachtens ist die Ermittlung einer Standsicherheit unerlässlich, da sich ansonsten nicht angeben lässt, in welchem Maß standsicherheitsverringernde Randbedingungen und Imponderabilien (=Unwägbarkeiten), die zum Versagen führen können, abgedeckt sind“ und „Die vorgenommenen Verformungsmessungen sagen nur etwas über den aktuellen Zustand und damit über eine mögliche Gefährdung aus, lassen jedoch keine Rückschlüsse auf die Höhe der vorhandenen Sicherheit zu“. Wie gesagt: ein Schreiben vom Januar 2000 ...


Mir scheinen weitere Klarstellungen vonnöten zu sein. Ein Leserbriefschreiber fragte, warum überhaupt eine Steilwand zugelassen und nicht ein terrassenförmiger Abbau mit Bermen vorgeschrieben wurde. Der Vorschlag einer terrassenförmigen Gestaltung der Abbauwand zur Stabilisierung der Böschung ist auch im Zusammenhang mit den Rutschungen an der Wülpker Egge mehrfach vorgebracht und diskutiert worden. Dazu muss festgestellt werden, dass unter den gegebenen Umständen aufgrund eines einfachen mechanischen Zusammenhangs die Form und das Gewicht des gleitgefährdeten Blocks keine Rolle spielt und deshalb ein terrassenförmiger Abbau keine zusätzliche Sicherheit bringt. Bauingenieure lernen dies spätestens im zweiten Semester. Der Leserbriefschreiber befindet sich mit seiner Fehleinschätzung indes in guter Gesellschaft: Mir war es vergönnt, einen mit Sanierungsvorschlägen zu einer Felsböschung beauftragten Gutachter kurz vor Fertigstellung seines Gutachtens auf eben diesen Fehlschluss hinweisen zu dürfen, so dass er sein Gutachten noch kurzfristig anpassen konnte. Es wäre peinlich geworden.

Zuweilen wird den Betreibern und den Aufsichtsbehörden auch vorgeworfen, die Probleme dadurch mit verursacht zu haben, dass ein zu geringer Abstand zwischen Abbauwand und Kamm eingehalten wurde. Auch diesbezüglich muss ich die Kritiker enttäuschen. Der Abstand zur Kammlinie hat keinen Einfluss auf die Standsicherheit. Die Rutschungen wurden dadurch ermöglicht, dass die Gleitfläche am Fuß der Abbauwand freigelegt bzw. angeschnitten wurde. Es ist also zu tief abgebaut worden. Wäre über den Heersumer Schichten ein stützendes Schichtpaket verblieben, wären diese Rutschungen verhindert worden. Das gilt für den Messingberg genau so wie für die Wülpker Egge.


Und was nun?

Unter rein technischen Gesichtspunkten ist der Abtrag des Hangs bis auf die Gleitschicht, wie es letztlich an der Wülpker Egge erfolgt ist, die vernünftigste Lösung. Die Auswirkungen auf das Landschaftsbild wären allerdings offensichtlich. Inwieweit sich weitere Rutschungen durch zusätzliche Sprengungen dauerhaft verhindern lassen, kann ich ohne Detailkenntnisse nicht beurteilen. Andere baulich -konstruktive Maßnahmen zur Erhaltung des Bestands sind wohl eher theoretischer Natur und aus verschiedenen Gründen nicht sinnvoll. Ich schließe weitere kreative Lösungen nicht aus, auch hierzu wären aber Detailinformationen erforderlich, die mir nicht vorliegen.

Weitere Konsequenzen?

Im Nachhinein ist man klüger. Wer behauptet, er hätte alles gewusst oder besser gemacht, gerät angesichts dieser Binsenweisheit leicht in den Verdacht der Unredlichkeit. Dennoch behaupte ich: Hätte man frühzeitig einen sachverständigen Felsmechaniker eingeschaltet, hätten Rutschungen sowohl am Messingberg als auch an der Wülpker Egge verhindert werden können.

Ich bin zurückhaltend, wenn es um Forderungen nach zusätzlichen Auflagen und um den Ruf nach dem Gesetzgeber geht. Schließlich kann sich jede weitere Vorschrift als bürokratisches, von niemandem erwünschtes Hemmnis erweisen. Unverständlich ist mir aber, dass Steinbruchbetreiber offensichtlich nicht gehalten sind, nachvollziehbare Standsicherheitsnachweise vorzulegen, wie sie im gesamten Bauwesen üblich sind. Es sollte deshalb überlegt werden, ob Steinbruchbetreiber nicht einer Pflicht zur Vorlage felsmechanischer Gutachten unterworfen werden sollten. Um es nochmals hervorzuheben: Ich meine keine geologischen Gutachten sondern von Bauingenieuren oder Ingenieurgeologen erstellte felsmechanische Gutachten mit Standsicherheitsnachweisen
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Dr. Manfred Haupt
, Bauingenieur Felsmechanik    am 6.Januar 2005                             

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