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“Hand in Hand” bedeutet Mach mit bedeutet Wir sind Deutschland!
Aufbruch der Leistungsträger?
Schröpfung des Steuerzahlers, Semi-Sozialismus, Staats-Kleptomanie – der Philosoph Peter Sloterdijk löste mit seinen Thesen zur
Zukunft des Kapitalismus in diesem Herbst eine Debatte aus. Axel Honneth, Altverwalter der Frankfurter Schule (---- Kurzerklärung am Ende), erwiderte empört. In der Zeitschrift Cicero antwortete Sloterdijk mit seinen „Zeitdiagnostischen Bemerkungen“.
Entstanden ist ein Manifest zum neuen Zeitgeist, ein Plädoyer für Freiheitswind in Deutschland.
Inhalt an dieser Stelle/Hinweise:
Von Feigheit paralysiert
Seit dem frühen 18. Jahrhundert sind die Angehörigen europäischer Nationen bereit auszuprobieren, wohin es führt, wenn man sich
selbst mit den Augen des anderen sieht. So hat Montesquieu in seinen Persischen Briefen von 1721 zwei Orientalen auf die Reise nach Westen geschickt, um ihren Landsleuten zu berichten, wie es mit den Sitten und
Gebräuchen in den Ländern des Sonnenuntergangs bestellt ist. Es ist höchste Zeit, scheint mir, wieder einmal die Perser einzuladen, damit sie einen verfremdenden Blick auf die Zustände in unserem Land werfen.
Was den von außen kommenden Beobachtern unserer Verhältnisse sicher am stärksten ins Auge springen würde, obschon es für uns durch
seine Alltäglichkeit fast unsichtbar geworden ist: Wir haben uns – unter dem Deckmantel der Redefreiheit und der unbehinderten Meinungsäußerung – in einem System der Unterwürfigkeit, besser gesagt: der
organisierten sprachlichen und gedanklichen Feigheit eingerichtet, das praktisch das ganze soziale Feld von oben bis unten paralysiert. Dies gilt, wohlgemerkt, nicht für die aktuelle deutschsprachige Literatur,
die farbig und ausdrucksstark ist wie seit langem nicht. Aber unsere sogenannte „Öffentlichkeit“, der politisch-publizistische Raum, die Sphäre der vorgesagten und nachgesagten Meinungen ist auf eine Weise
durchsterilisiert und homogenisiert, dass man meinen möchte, fast alle, die bei uns öffentlich das Wort nehmen, kämen geradewegs aus dem Desinfektionsbad. Die Perser würden glauben, sie entdeckten auf fremden
Boden orientalische Verhältnisse wieder.
Denken wir an den entlarvenden Vorgang, der sich vor wenigen Wochen anlässlich einiger kantiger Formulierungen des ehemaligen
Finanzsenators Thilo Sarrazin entwickelt hat: Weil er so unvorsichtig war, auf die unleugbar vorhandene Integrationsscheu gewisser türkischer und arabischer Milieus in Berlin hinzuweisen, ging die ganze Szene
der Berufsempörer auf die Barrikaden, um ihm zu signalisieren: Solche Deutlichkeiten sind unerwünscht. Man möchte meinen, die deutsche Meinungs-Besitzer-Szene habe sich in einen Käfig voller Feiglinge
verwandelt, die gegen jede Abweichung von den Käfigstandards keifen und hetzen. Sobald einmal ein scharfes Wort aus einem anderen Narrenkäfig laut wird, bricht auf der Stelle eine abgekartete Gruppendynamik los.
Dabei geht es zu, als gelte es, einen Wettbewerb in Empörungsdarstellung zu gewinnen: Wer schafft es, seine Konkurrenten an Würdelosigkeit beim Eifern und Geifern zu übertreffen?
Einigermaßen fassungslos sieht man mit an, wie dann die Mechanismen der Trivialmoral in endlosen Schleifen abgespult werden – bis
hinauf in die Spitzen der „Gesellschaft“. In der Berliner SPD heulen die Wölfe sogar von Parteiausschluss.
Auf Wahrheit soll künftig die Höchststrafe stehen: Existenzvernichtung.
Auch die Leitung der Deutschen Bundesbank erweist sich gegen die Epidemie des Opportunismus als nicht immun. Deren Chef, statt sich
gelassen vor seinen Kollegen zu stellen und zu sagen: Hört zu, Freunde von hier und von anderswo, in einer Welt, wo die freie Rede zu den höchsten Gütern zählt, muss man Zuspitzungen aushalten können, wie sie
zuweilen aus dem Munde unseres scharfzüngigen Mitarbeiters kommen – statt also irgendetwas Souveränes, Aufheiterndes, gut ventiliertes zu sagen, spricht sogar Axel Weber, ansonsten wohl ein respektabler Mann,
die allgemein erwartete Sklavensprache und deutet an, es wäre für das Ansehen seines Hauses besser, der überdeutliche Mitarbeiter zöge berufliche Konsequenzen. Er kommt nicht auf den Gedanken, seine eigene
entkernte Haltung, sein serviles (----kriecherischen) Vorwegnehmen von eingebildeten Nachteilen, sein Floaten mit dem Tageskurs der Empörerei könnten die wirkliche Gefahr für das Ansehen seines Unternehmens
bedeuten. Das Beispiel zeigt, wie tief bei uns der Sprachkarren im Dreck steckt – und mit dem Sprachkarren das ganze System der politisch-psychologischen Reflexe.
Deutsches Unverständnis für die thymotischen Affekte
(… für bestimmte Erregungszustände)
Wenn man erklären sollte, wie es zu diesem entwürdigenden Zuständen gekommen ist, wäre historisch weiter auszuholen. Man müsste
erzählen, erklären und dokumentieren – das würde Zeit kosten -, wie es kam, dass bei uns, in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen, im Laufe des 20. Jahrhunderts die Balance zwischen den
Primäraffekten der menschlichen Seele, der einen Seite, den stolzartigen – griechisch gesprochen: das Wechselspiel von Eros und Thymos (----Philosophisch bedeutet Eros: Drang nach Erkenntnis und schöpferischer geistiger Tätigkeit und Thymos, der gemüthaften Seite der Seele) - so völlig verloren gegangen ist.
Die heute erreichten Grenzwerte sprechen für sich: Von einem Ende zum anderen ist unsere Alltagskultur von den Figuren und Affekten
der Mangelrhetorik durchdrungen.
Ja, was wir in unseren Breiten Wirklichkeit nennen, ist ein Gesamtkunstwerk aus Mangeleinbildungen. An allen Ecken und
Enden spricht man nur noch vom Fehlen, vom Brauchen, vom Nicht-Haben und vom Beantragen – längst neigen die meisten Zeitgenossen zu der Überzeugung, dass mit dem Wort
Mängelwesen alles gesagt sei, was über den Menschen als wunschgetriebenes Etwas überhaupt zu sagen ist. Bis in die letzten Verästelungen unserer Begriffs- und Erlebnisform ist unser Dasein durch Mangeldefinitionen geprägt. Wie keine Generation zuvor sind wir therapeutisiert, kulpabilisiert (----verschuldet), miserabilisiert und auf Defizitgefühle
dressiert.In kulturgeschichtlicher Sicht dürften wir die erste Generation sein, in der man allgemein den Satz unterschreibt, wonach der Mensch das Tier im Minus ist.
Für die komplementäre (----sich gegenseitig ergänzende) Dimension des menschlichen Seelenlebens, den Stolz, die Ehre, die Großzügigkeit, das Haben und Schenken, für die ganze Skala der gebenden
Tugenden, die zum kompletten thymotischen Leben gehören, haben wir praktisch kein Empfinden mehr, und mit dem fehlenden Empfinden ist auch die dazugehörige Sprache ausgestorben.
Vom gebenden Leben weiß unsere Offizialkultur so gut wie gar nichts mehr.
Dass die Menschen aber nehmende und gebende Wesen sind, ja dass sie, sobald sie auf die gebende Seite kommen, materiell oder
symbolisch, sofort beginnen, mit sich selbst und den anderen viel bessere Erfahrungen zu machen, als auf der Gierseite je zu gewinnen sind: das ist aus dem aktuellen Horizont unserer Wirklichkeitsauffassung so
gut wie völlig ausgeblendet worden.
Es ist wahr, über Einkünfte, Gewinne und Zuwächse, die unserer nehmenden „Natur“ Genugtuung verschaffen, freut man sich, solange die
Quelle sprudelt. Und nichts berechtigt uns, über diese Komponente der menschlichen Affektwirklichkeit die Nase zu rümpfen, solange sie nicht einseitig ins Extrem getrieben wird.
Jedoch, die tieferen Momente, die uns wirklich Satisfaktion verschaffen, sind ohne Zweifel diejenigen, in denen der Einzelne sich
seiner Geberqualitäten versichert. Das sind die Augenblicke, in denen ein Mensch nach vorne geht mit dem Bekenntnis: Das habe ich, das gebe ich, das teile ich, so bin ich.
Vor diesem Hintergrund lässt sich begreiflich machen, warum der westlichen Zivilisation im Allgemeinen und der deutschen Kultur im
Besonderen auf mittelfristige Sicht nur noch durch eine Art von politisch-psychologischer Reformation zu helfen ist. Könnte es sein, dass wir am Anfang einer solchen Reformation stehen?
Tatsächlich, wie wäre es, wenn wir aus dem überall tief ausgehobenen Loch des Mangeldenkens, in dem wir uns imaginär gütig,
sentimental und heuchlerisch eingerichtet haben, endlich wieder hervorstiegen, um uns in der zeitgenössischen Welt umzuschauen? Die Wahrheit ist doch, dass wir uns mit den meisten Kulturen auf der Erde seit
geraumer Zeit schon nicht mehr richtig verständigen können. Wir haben die Fähigkeit dazu verloren, weil unser eingefleischtes Denken in Kategorien des Fehlens und Brauchens es uns verbietet, die zahlreichen
fortbestehenden Stolzkulturen auf der Erde und mit ihnen alle Lebensentwürfe, in denen der Mensch ein Plus hat und Ehre fordert, auch nur von ferne noch zu begreifen.
Die Kohl-Ära und sein Erbe- Lethargokratie und Frivolität (----Gleichgültigkeit und
Bedenkenlosigkeit, Leichtfertigkeit)
Mag sein, dass dies nicht der richtige Augenblick ist, um mit so vagen und weitwinkligen Perspektiven zu hantieren. Wer redet von
Reformation, wenn schon kleine Reformen nicht mehrheitsfähig sind? Und doch, für Mentalitätshistoriker wäre es reizvoll, gerade jetzt, da ein neues Kapitel in der politischen Geschichte unseres Landes begonnen
wird, die Langfassung der Saga von der Konsumgesellschaft aufzublättern, an deren aktueller Spitze wir leben.
Deren Anfangspassagen würden uns in die Zeit des französischen Bürgerkönigs Louis Philippe zurückversetzen, der von 1830 bis 1848
über die erste postrevolutionäre Spaß- und Konsumgesellschaft regierte. Da wir uns aber mit der Kurzfassung begnügen müssen, werden wir mit der jüngeren Mentalitätsgeschichte beginnen.
Die muntere Fahrt in den Dreck, in dem der Karren heute steckt, begann – soweit man das zur Stunde überblicken kann – Anfang der
achtziger Jahre, als Helmut Kohl an die Macht gelangte, ein Mann, der schon durch seine markant formlose Physis den Zeitgeist des finalen Konsumismus prophetisch verkörperte. Tatsächlich hat man schon damals
Kohl mit Louis Philippe verglichen, und hier wie dort sah man in diesen nur scheinbar gutmütigen Gestalten die jeweils zeitgerechte Personalunion aus unerbittlichen Ambitionen und verführerischem Phlegma an die
Rampe treten.
Unter Helmut Kohl ist in unserem Land ein einzigartiges psychopolitisches Syndrom entstanden, das Sloterdijk die deutsche
Lethargokratie nennt. Von weitem erinnert sie an altchinesische Zustände insofern, als schon vor zweitausend Jahren bei den Ratgebern des Kaisers von China die Weisheitsmaxime zu hören war: Die beste Herrschaft
sei diejenige, von der das Volk glaubt, sie finde gar nicht statt. Demnach soll im öffentlichen Raum nicht mehr an Lenkung, Dominanz und Machtausübung spürbar werden, als Wasser verspürt, wenn es dem Hang des
Geländes folgt.
Die im Rückblick unfassbar lang erscheinende Kohl-Ära – sie dauerte schier endlose sechzehn Jahre, 1982 bis 1998 -, war so gesehen
eine stilreine Hang-Dynastie. Da rutschte jeder jeden Buckel runter, der abwärts ins Wahrscheinlichere führt, immer Endtropisch (----versuchsweise, als Maß für den Grad der Unsicherheit des Ausgangs) munter
hinunter ins Allzumenschliche, der sozialen Endformel entgegen: Urlaub, Umverteilung, Fettleibigkeit.
Gottrief Benn hatte in der Gründerzeit der BRD notiert: „Dumm sein und Arbeit haben: Das ist das Glück.“ Unter Kohl hieß es: Die
Kurse beobachten und ab in die Ferien! Zu seiner, Kohls Zeit trat in der BRD die erste Generation von Erben und Berufsurlaubern in Erscheinung, die nicht verhehlten, wie schön das Leben sein kann, wenn man
tüchtige Eltern begräbt.
Kurzum, die lethargokratische Grundstimmung, die bis gestern über unserem Land lag und auch nach dem 27. September (----Bundestagswahlen 2009) nicht ganz verschwunden ist, reicht
unmissverständlich bis in die Jahre, die ihr kennt, zurück. In ihnen wurde die Große Koalition aus Spaß und Stagnation geschmiedet, die für eine ganze Generation junger Deutscher den letzten Horizont markierte.
Trägheit und Frivolität wurden damals unzertrennlich.
Zieht man nach solchen Zeiten Bilanz, so ist in ihnen, wie das Vertretersprichwort sagt, tatsächlich außer Spesen nichts gewesen, und
wenn uns nicht mitten in den Kohl-Jahren wie aus heiterem Himmel die deutsche Wiedervereinigung in den Schoß gefallen wäre, man würde sich schlechthin an nichts erinnern – ein paar schöne Nachmittage auf der
Terrasse ausgenommen. Es war Kohl`sche Regierungsweisheit, scheinbar oder wirklich drängende Problem zurückzustellen, wie um zu beweisen, dass sich das Meiste durch Ignorieren erledigt.
Kohls hohe Kunst des Nichts-zur-Kenntnis-Nehmens von Dringlichkeiten war engstens mit der schon damals nicht neuen Technik der
Staatsschuldenausweitung verknüpft. Im Grunde war er wie ein chinesischer Regent davon überzeugt, das Nichthandeln sei stets dem Handeln vorzuziehen. In seiner Regierungszeit wurde das Wort „Reformstau“ zum
Synonym für deutsche Befindlichkeiten.Der Kanzler selbst war der Stau in Person, und er war in den Stau verliebt – denn der stellte sicher, dass der Mann, der ihn überholen könnte, sollte er schon geboren sein,
keine Chance hätte, an die Spitze der Kolonne vorzufahren.
Alle Daten sprechen dafür, dass die Kohl-Ära, als sozialpsychologischer Zustandsraum verstanden, nicht zu Ende war, als der Fürst des
Stillstands, der joviale Sitzriese, der leutselige Saumagengourmet und skrupellose Staatsschuldenbeschleuniger nach dem Wahlsieg Schröders von 1998 verabschiedet wurde, obschon er allzu gern eine fünfte
Kanzlerschaft gewonnen hätte, explodierenden Arbeitslosenzahlen und ersten Hinweisen auf eine neue soziale Frage zum Trotz.
Sie endete aber auch nicht wirklich, als das hektische siebenjährige Rot-Grün-Intermezzo begann, in dem zwei testosteronbefeuerte
Alphatiere es genossen, an der Spitze des Staates zu schweben – wer erinnert sich noch an ein Detail aus dieser verlorenen Zeit? Nun ja, da gab es den schändlichen Gewaltblödsinn des elften September, der die
politische Semantik (----Sprachausdruck) der
Welt veränderte, weil er die von Konservativen längst vorbereitete Wende zum Vorrang der Sicherheitsthemen auf Kosten von Freiheitsthemen durchsetzen half:
Und es gab das Weinwunderjahr 2003, das nicht einmal ein Selbstlobkünstler wie Schröder in die positive Bilanz seiner
Regierungstätigkeit schreiben konnte.
In Wahrheit steht die Beendigung der deutschen Lethargokratie erst heute wirklich auf der Tagesordnung – heute, das heißt: nachdem
die erste Merkel-Amtszeit von 2005 bis 2009 ihrerseits wie ein Spuk vorübergegangen ist. Auch diese Jahre standen noch ganz im Zeichen der geerbten Paralyse (----Bewegungslähmung). Die zweite Große Koalition war nichts anderes gewesen als
die Wiederaufnahme des Kolh`schen Trägheitssystems und seine Fortschleppung mit anderen Mitteln. In solchen Zeiten lernt das Volk, dass an der Macht zu sein und zu regieren nicht dasselbe ist. Die Politiker
lernten eine andere Regel: Sobald man weiß, dass man nie kann, wie man will, ist es am klügsten, mit dem Wollen erst gar nicht zu beginnen.
Die Angela Merkel, die wir bis heute kennenlernten, erwies sich im Kanzleramt als eine echte Kohl-Tochter insofern, als sie den
lethargokratischen Machtmodus stilsicher aufnahm, ja ihn im Dauerpatt des schwarz-roten Bündnisses zu seinen letzten Verfeinerungen vorantrieb. In dieses Bild gehören die Anekdoten, die berichten, wie die
Kanzlerin ihren Staatsgästen eigenhändig Tee und Süßes an den Platz bringt. Ihre persönliche Zutat zu den Zwängen des Amtes war ein Hauch von postpolitischem Matriarchat, mit dessen Hilfe sie den geniale banalen
Slogan der Adenauer-Ära: „keine Experimente“ unter den Bedingungen des beginnenden 21. Jahrhunderts noch einmal zur Staatsdevise machte. Enthüllend für die Befindlichkeit der politischen Klasse war in diesem
Kontext der Beschluss des Bundestages über den Modus des Wiederaufbaus des Berliner Schlosses: In der spätlethargokratischen Republik versteht zwar niemand mehr, was Wille zur Gestaltung bedeutet, den
Willen zur Fassade aber lässt man sich nicht nehmen.
Die Krise der (phänomenalen) Sozialdemokratie
Soll man in schlichten Worten sagen, in welcher Hinsicht die Wahlen zum Bundestag im September 2009 eine Zäsur in der jüngeren
System- und Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik darstellen werden, so braucht man bloß zu konstatieren, was ohnehin zutage liegt: Die schönen Tage von Aranjuez (----spanischer Ort, von dem 1808 die Erhebung gegen Frankreich ausging) sind
vorüber, das lang gezogene Fin-de- si│cle (----Ende des Jahrhunderts) der Deutschen ist abgelaufen. Die Lust am Schweben über der Stagnation weicht der Sorge über eine blockierte Zukunft.
Der atmosphärisch evidente (----offen zu Tage liegende) Befund lässt sich vertiefen, wenn man sich mit dem Schicksal des größten Verlierers vom 27. September unter einem systemischen (----ein Organsystem, in gleicher Weise betreffenden) Gesichtspunkt
befasst. Tatsächlich kommt der Absturz der SPD einem Symptom gleich, das über die die interne Verfasstheit der aktuellen Staatlichkeit, des Parteienwesens und des sozialen Bandes in unserem Lande insgesamt
Aufschluss gibt.
In diesem Zusammenhang muss ein für allemal daran erinnert werden, dass Sozialdemokratie nicht nur der Name einer altehrwürdigen
politischen Partei ist, deren Anfänge in die Frühzeit der Arbeiterbewegung zurückreichen. – sie war de facto die Mutter aller parlamentarischen Opposition und das so unbequeme wie unverwüstliche Vehikel, auf dem
die soziale Frage durch das 19. und 20. Jahrhundert reiste. Nicht umsonst haben wir in unseren jungen Jahren die unentbehrliche Karre geliebt wie den ersten gebrauchten VW-Käfer, die fahrbare Blechtrommel.
Doch ist Sozialdemokratie zugleich eine Systemformel: Sie beschreibt genau die politisch ökonomische Ordnung der Dinge, die den
modernen Staat als Steuerstaat, als Infrastrukturstaat, als Rechtsstaat und nicht zuletzt als Sozialstaat und Therapiestaat definiert. Man hat es infolgedessen in der systemischen Wirklichkeit der westlichen
Nationalstaaten immer mit zwei Sozialdemokratien zu tun, die man sorgfältig auseinanderhalten sollte, wenn man der Verwirrung entgehen will. Wir begegnen überall einer phänomenalen und einer strukturellen, einer
manifesten und einer latenten Sozialdemokratie, einer, die als Partei auftritt, und einer, die in die Definitionen, Funktionen und Prozeduren der modernen Staatlichkeit als solcher mehr oder weniger irreversibel (----unumkehrbar) eingebaut ist.
Nimmt man hiervon Kenntnis, so versteht man auch schon, warum die Sozialdemokratie als Partei ein tendenziell tragisches Phänomen
repräsentiert. So wie der tragische Held schuldlos schuldig wird und in seinem Schicksalsknoten untergeht, so wird die tragische Partei überwiegend unverschuldet unpopulär und geht an dem pragmatischen Erfolg
ihrer Prinzipien zugrunde – zumindest in dem Sinn, dass zahllose Bürger den Sozialdemokratismus nicht mehr notwendigerweise dort suchen und finden, wo die alte Fahne aus dem Fenster gehängt wird. Folglich sind
manifeste (----grundsatzerklärende)
Sozialdemokraten Anhänger der einzigen Partei, der es periodisch gelingt, sich selber überflüssig erscheinen zu lassen. Nie hat man das deutlicher gesehen, als in den ersten vier Merkel-Jahren, in denen sich die
Unionsparteien als die besseren Kopien der Sozialdemokratie zu erkennen gaben. Die nominellen (----vorgeblich, dem Namen nach) Sozialdemokraten hingegen hatten von den Tagen Schröders an politischer Reife demonstrieren wollen, indem sie tapfer selbstzerstörerisch die
unumgänglich „notwendige“ Reformpolitik praktizierten, von welcher der listig träge Kanzler Kohl stets die Finger gelassen hatte.
Aus dieser Sicht war es Gerhard Schröder, der aufgrund seiner nichtlethargischen Qualitäten den Niedergang seiner Partei einleitete.
Man muss begreifen: Seit den Tagen Helmut Kohls herrscht im Bundestag nicht bloß das Gesetz der Wählerverwirrung durch Programmvertauschung zwischen links und rechts, auch der Begriff Opposition hat einen neuen
Sinn angenommen: Opposition ist längst nicht mehr das, was die Nichtregierungsparteien treiben. Opposition wird wirksam nur noch durch die aktuelle Regierung ausgeübt, und zwar dadurch, dass sie ihrer möglichen
Nachfolgerin die Probleme hinterlässt, an denen sie zuverlässig scheitert. In diesem Sinne brachte die Merkel-Wahl von 2005 eine späte Genugtuung für den Vater aller Lähmungen. Auf seinen Spuren zog seine
natürliche Tochter ins Kanzleramt ein. Man lernt daraus: Die lethargokratische Politiker wird mittelfristig belohnt, weil er und seine Nachfolger die besten Chancen haben, die nächste Wahl zwar zu verlieren,
aber dafür die übernächste zu gewinnen.
Der reale Semi (---Halb)sozialismus
Ein suspektes (----fragwürdiges, verdächtiges) Sprichwort behauptet, es gäbe Leute, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Ob so etwas vorkommt, sei bis auf weiteres dahingestellt. Sicher
ist aber, dass es Leute gibt, die vor lauter Parteien den Staat nicht sehen. Solche Leute sehen auch vor lauter Mangelalarm die unglaublichen Reichtümer nicht, die heute wie gestern durch die öffentliche Hand
gesammelt und zur Umverteilung gebracht werden. Man redet von „leeren Kassen“ und beschreibt damit eine Staatlichkeit, die Jahr für Jahr rund 1000 Milliarden Euro vereinnahmt (----bei einer Bevölkerung in Deutschland von ca. 82 Millionen, wären das rund 12.200 Euro pro Person) und verteilt.
- Anm.: Das Ergebnis der 2006 noch unveröffentlichten Studie aus der Feder des Finanzwissenschaftlers Volker Stern:
Der Staat sammelt nach wie vor mehr als die Hälfte des Volkseinkommens über Steuern und Sozialabgaben wieder ein. 2005 lag die Belastung mit 51,5 Prozent zwar deutlich unter dem Rekordwert des Jahres
2000 (56,3 Prozent). Mit den fest verabredeten Steuererhöhungen aus dem Koalitionsvertrag wird die Quote nach Sterns Berechnungen bis 2009 jedoch wieder auf fast 53 Prozent steigen.
Diese, solche Staatsblindheit gilt besonders für die diskutierende Klasse in Deutschland, an ihrer Spitze eine Anzahl von
„kritischen“ Soziologen, in Frankfurt und anderswo, die seit Jahrzehnten die scheinplausible These verbreiten, wir lebten unter der Knute des Neo-Liberalismus (----eine in politischer, wirtschaftliche und gesellschaftlicher Hinsicht entscheidend prägende Lebensform und Denkrichtung, die Freiheit, Unabhängigkeit,
Verantwortung und freie Entfaltung der Persönlichkeit vertritt) und des „ökonomischen Horrors“
- um an den effektvollen Slogan der matten Kapitalismuskritikerin Viviane Forestier (----französische
Schriftstellerin, Buch: „Der Terror der Ökonomie“) zu erinnern.
Kaum jemand hat sich in dieser Zeit die Mühe gemacht, den wirklichen Verhältnissen in öffentlichkeitstauglicher Weise auf den Grund
zu gehen. Insbesondere war so gut wie nie von dem eben erwähnten „objektiven“ Sozialdemokratismus die Rede. Durch ihn sind die Axiome (---Grundsätze) der Sozialdemokratie von der Ebene der rhetorischen Forderungen in
die Strukturen der Staatlichkeit als solcher transportiert worden. Sie bilden eine stabile Hintergrundwirklichkeit, die immer mitläuft, wenn im Vordergrund über labile Projekte, Maßnahmen und Differenzen
gestritten wird. Die phänomenale SPD kann
sich Machtpausen und Schwächephasen leisten, die von ihr mitgeschaffene Transfermaschine geht unabhängig davon ihren Gang. Allen Klagen über soziale Kälte und schleichenden Sozialabbau zum Trotz arbeitet man auch heute auf den Nachtbaustellen des Sozialstaats fieberhaft weiter an der Ausdehnung der Netze.
Die Wesensgleichheit zwischen objektiver Sozialdemokratisierung und starker Steuerstaatlichkeit geht hierzulande bis in die
Bismarkzeit zurück, als der Eiserne Kanzler den Forderungen seiner Widersacher im preußischen Parlament entgegenkam, um sie spöttisch zu neutralisieren. Doch hat auch die wilhelminische Ära das ihre zur
Etablierung des modernen Fiskalsystems beigetragen, als mit den Miquel`schen Finanzreformen 1891/93 (----eine
Finanzreform, in deren Rahmen erstmals eine progressive Einkommenssteuer, durch eine Vermögenssteuer ergänzt, eingeführt wurde) die
progressive Einkommenssteuer in Preußen heimisch wurde. Seither lässt sich mit gutem Grund die These vertreten, der moderne Steuerstaat sei per se das Vollzugsmedium des objektiven Sozialdemokratismus.
Zugespitzt gesagt: Der durch sein Fiskalprinzip ermächtigte Umverteilungsstaat aktuellen Typs verkörpert essenziell eine krypto(--- im Verborgenen)-semi-sozialistische Struktur. Aus Hegel`scher Sicht dürfte man
hinzufügen, dies könne und dürfe auch gar nicht anders sein, sofern die Staatlichkeit als solche das Organon (----Werkzeug) des Allgemeininteresses verkörpert.
Die sichtbare Hand des Allgemeinorgans, verkörpert durch den empirischen (----aus der Erfahrung, einem Experiment, erwachsenen) Finanzminister, greift dem
wirtschaftenden Bürgern mit einiger sittlicher Berechtigung regelmäßig in die Tasche, um sie zu einer kräftigen Abgabe ans Ganze zu bewegen. Für einen Philosophen deutsch idealistischer Provinzienz (----Herkunft) bereitet es nicht die geringste Schwierigkeit, das
aktuelle System starker Steuerstaatlichkeit als real existierenden Semisozialismus (----Halbsozialismus) zu definieren.
Um aber den fiskalisch basierten Semisozialismus in seiner Eigenart zu begreifen, muss man zwei Dinge stets in Betracht ziehen: zum
einen, dass seine Existenz von allen Akteuren strikt geleugnet wird
- von den Linken, weil sie andernfalls erklären müssten, mit welcher Begründung sie chronisch mehr wollen, von den Rechten, weil sie sonst zugeben müssten, dass sie im Wesentlichen längst heimliche Linke sind. Zum anderen ist für den realen Semisozialismus bezeichnend, dass er bisher ausschließlich in nationalstaatlichen Formen praktizierbar war.
Der Grund hierfür ist leicht zu nennen: Schon das späte 19. Jahrhundert hat die beiden großen Impuls-Ideen der neueren Zeit, den
nationalen und den sozialen Imperativ (----Pflichtgebot), zu mehr oder weniger effektiven, auch zum Teil fatalen (----verhängnisvollen), Synthesen (----Verknüpfungen) zusammengebaut. Infolgedessen ist der moderne Staat bis heute strukturell nationalsozial oder sozialnational ausgerichtet.
Als Nationalstaat formatiert (----strukturiert) er die Solidargemeinschaft zu einem „Volk“ mit gemeinsamen Schicksalen und Symbolen, als Sozialstaat formatiert er das „Volk“ zu einer operativen (----unmittelbar wirkendenden, tätig eingreifenden)
Solidargemeinschaft, und zwar temporal (----zeitlich) als Zusammenhang der Generationen und funktional (----amtlich als
Aufgabe, Rolle betrachtend) als Zusammenhang von „Volk“ und Eliten (----Gruppe, Gesellschaftsschicht, die sich als aus höherwertigen Mitgliedern der Gesellschaft zusammengesetzt versteht)
Dieses System stößt seit einer Weile an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. In seiner erhöhter Migration (----Abwanderung und Einwanderung), also intensiverer Zuwanderung,
zunehmender Elitenabwanderung und demographischer Ausdünnung (----die Bevölkerung betreffend) macht der moderne Staat die irritierende Entdeckung, dass es mit der sozialnationalen Synthese allein auf Dauer nicht mehr getan ist.
Seiher lautet die Aufgabe für den Staat, der sich und seine Populationen reproduzieren will: Es gilt, eine Integrationsformel (----Zustand nach der (Wieder)Herstellung einer Einheit, Vereinigung) höherer Stufe zu finden, kraft welcher eine zunehmend heterogene (----uneinheitliche,
ungleich zusammengesetzte, gemischte) Staatsbevölkerung als Leistungsträgergemeinschaft jenseits der divergierenden (----auseinanderfallenden, auseinander strebenden, auseinander gehenden)
Herkunftskulturen bestimmt wird.
Diese Formel kann nur durch einen neuen „Gesellschaftsvertrag“ zustande kommen, der die Leistungsträger aller beteiligten Seiten in
die Mitte der sozialen Synthesis (----Verbindung, Verknüpfung von Teilen oder Gegensätzlichem zu einer Einheit oder
einem neuen Ganzen) rückt.
An dieser Problemfront engagieren sich seit einer Weile die weitsichtigeren Teile der Bürgergesellschaft und der Staatlichkeit, denen
eines völlig klar ist: Das soziale Band von morgen wird durch die Investitionen und Integrationen geknüpft, die hier und heute geschehen.
Wird die vorausschauende Pflege dieses Bandes vernachlässigt, bringt man durch Unterlassungen von heute den Zerfall von morgen auf
den Weg.
Parlamentarische Demokratie: Eine Machtwechselmaschine
Wären unsere Perser in diesen Wochen nach den Wahlen zum 17. Bundestag in unserem Land unterwegs, sie kämen aus dem Staunen nicht
heraus. Sie wären fassungslos über das, was für unsereinen längst gewöhnlich scheint: Dass eine Regierung die Gunst des Volkes verlieren und ohne eine Nacht der langen Messer (---Der Ausdruck wurde vom mittelalterlichen britischen Historiker Geoffrey of Monmouth geprägt, welcher damit den stehenden Begriff formte) aus ihren Funktionen entlassen werden kann.
Dergleichen hat man zu Hause von den Tagen des Darius und Xerxes an nie gesehen.
- (----Anm:Darius und Xerxes waren Perserkönige.
Siehe das Werk Die Perser - die dort beschriebene Tragödie gilt trotz des offen zu Tage tretenden Stolzes über den errungenen Sieg (der Griechen über die Perser – historische Seeschlacht von Salamis 480 v. Ch.) als herausragendes Beispiel dafür, wie auch der im Triumph geschlagene „Feind“ nicht herabgesetzt werden muss, sondern durch die kunstvolle Spiegelung der „Gegenseite“ inmitten der ganzen Tragik seiner Niederlage gesehen werden kann)
Das hier inszenierte persische Staunen sollte uns selber Anlass zum Nachdenken geben. Tatsächlich sind unter demokratietheoretischen
Aspekten Regierungswechsel nach Wahlen die glücklichen Momente des politischen Systems. Sie beweisen, indem sie Machtablösungen ohne Blutvergießen ermöglichen, worauf es in dieser fragilen Lebensform ankommt.
- (----auf eben dieses)
Demokratische Regierungen gehen das Wagnis ein, den Bürgern gefallen zu müssen, und verzichten bewusst auf die Mechanismen direkter
Herrschaft, mit denen Monarchien (----mit gekrönten Staatsoberhaupt), Theokratien (----von der Kirche gelenkten) und Despotien (----Willkürherrschaft eines Einzelnen) von alters her die Zustimmung der Untertanen erzwingen.
Betrachtet man die Resultate des 27. September unter diesem Aspekt, so sind sie eindeutig auf der Gewinnseite des demokratischen
Lebens zu verbuchen, selbst wenn viele Wähler des Ausgang der Wahl aufgrund konträrer (----gegensätzlicher, widriger) politischer Präferenzen (----Vorzüge) oder unüberwindlicher persönlicher Abneigungen gegen die Gewinner im Konkreten bedauern.
Unter anderen Gesichtspunkten sind die vom 27. September 2009 geschaffenen Verhältnisse mit gemischten Gefühlen zu betrachten, mag es
auch für ein entschiedenes Urteil noch zu früh sein. In zehn oder zwanzig Jahren wird man erkennen, ob dieser Wahlabend einen schwarzen Tag für die deutsche Demokratie bedeutet hat oder nicht, doch schon jetzt
geben die Veränderungen im Parteienspektrum Anlass zur Sorge um die Zukunft des politischen Systems.
Jedenfalls wird man Rückblickend eines Tages konstatieren (----feststellen), dass bei der Septemberwahl 2009 die stärksten Stützpfeiler der
politischen Kultur in Deutschland nach 1949 katastrophisch zusammengebrochen sind. Was an diesem Tag von der Bühne verschwand, so die wahrscheinlichste Diagnose, war das bis dahin fraglos dominierende Regime der
nationenweit sammlungsfähigen Organe politischen Willens, die man von den Tagen der seligen Bonner Republik her die Volksparteien nannte. Solange die beiden großen Lager Union und SPD im Land den Ton angaben,
hieß zu den Wahlen gehen tatsächlich wählen – sprich: zwischen erkennbaren Alternativen und kontrastreich voneinander abgesetzten Lagern entscheiden. Nach sieben Jahren Rot-Grün und vier Jahren Schwarz-Rot sind
die politischen Primärfarben so sehr vergraut, dass „Wählen“ jetzt eine dezisionistische (----rechtsphilosophische
Auffassung, nach der das als Recht anzusehen ist, was die Gesetzgebung zum Recht erklärt.) Geste meint.
- (Anm. Dezisionismus: ist eine politische und juristische Theorie, die die Entscheidung und den Entscheider in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt. Diese Theorie hält weniger den Inhalt einer Entscheidung für wichtig, als die Entscheidung an sich. Ihr zufolge kann es keine allgemein verbindlichen Begründungen für Werte oder moralische Positionen geben. Daher sei die Entscheidung von Menschen für diese oder jene Handlung letztlich willkürlich und nicht mit den Mitteln logischer Analyse oder anhand ethischer Kriterien zu rechtfertigen. Philosophische Lehre, nach der
alle Prinzipien (der Erkenntnis, der Moral, des Rechts u. a.) primär auf Willensentscheidung und nicht auf rationaler Begründung beruhen. Mehr im Anh.)
Unschlüssig starrt man auf den
Stimmzettel und erhofft eine Eingebung in letzter Minute, die sagt, an welcher Stelle man sein Kreuz anbringt. Ein so zustande gekommenes Signal des Wählerwillens ist möglicherweise ein schwaches Indiz für die
Existenz der Willensfreiheit, nach welcher heute die Philosophen fahnden, jedoch ein starker Hinweis auf das Ende der Demokratie, wie wir sie gekannt haben.
Von dieser Lage, in der die alten Farben
und Fahnen wertlos werden, profitieren bis auf weiteres nur die kleinen Parteien. Sie lenken die Reste der alten politischen Libido (----Energie) auf sich, weil sie den Grauzoneneffekt bis auf
weiteres meiden können und sich mit einer erkennbaren These auf den Marktplatz stellen. Die kleineren Parteien, die am 27. September jubelten, sind darum typische
Ein-Thema-Plattformen, die ihre politische Sichtbarkeit ihrer (möglicherweise nur) Einseitigkeit verdanken.
Dabei sollte man nicht vergessen, dass
Einseitigkeit in politischer Hinsicht die Höchstform von Unverantwortlichkeit darstellt. Die unverantwortlichen Kleinen fahren Gewinne ein, weil sie und solange sie aus ihrer Regierungsunfähigkeit kein Geheimnis
machen – Regieren ist ja genau die komplexe polythematische Arbeit, die bisher nur den Volksparteien gelang und zu der die Monothematiker aus eigener definitionsgemäß unfähig sind.
Die siegreichen Aspektparteien, die jetzt
den Bundestag und die Länderparlamente selbstsicherer denn je Mitbevölkern, triumphieren insgeheim auch deswegen, weil sie wissen: In Zukunft werden sie Zugang zu allen möglichen Aufgabenfeldern erhalten, von
denen sie glücklicherweise bis dato nichts verstehen mussten. Sie werden sich im System einnisten, weil das politische Geschäft nach Lage der Dinge künftig nur noch durch kompliziertere Koalitionen betrieben
werden kann, oder, um deutlicher zu reden: durch sorgfältig inszenierte Koalitionserpressungen. Wenn schon die zweite Große Koalition für die deutsche Demokratie verhängnisvoll war, weil sie den Volksparteien
das Genick brach, so könnten die vielfältigen Koalitionsfiguren, die sich für die Zukunft abzeichnen, erst recht fatale Folgen zeitigen, weil sie die Italienisierung der Verhältnisse in unserem Land
vorantreiben. Was das im Einzelnen bedeutet, davon soll des Sängers Höflichkeit für den Augenblick schweigen.
Vom aktuellen „Zeitgeist“: Eine neue Antithese taucht auf
Wer sich jemals mit der Psychodynamik (----bei Freud definiert als das Aufeinanderwirken unterschiedlicher psychischer "Kräfte" wie Emotionen, Triebe, Motive.) moderner Populationen beschäftigt hat, wird wissen, dass nichts so schwer zu fassen ist wie eine kollektive Stimmung und sich nichts so sehr der Definition
entzieht wie der oft zitierte „Zeitgeist“. Von dem behauptet bekanntlich jeder, er sei persönlich fähig ihn zu spüren, und doch ist es noch niemandem gelungen, seine Existenz zu beweisen. Dies gilt bereits in
den Zeiten, in denen die Dinge ruhig halten, es gilt für aufgeregtere Zustände erst recht. Wer vom „Zeitgeist“ redet, ist daher mindestens ebenso ein Erfinder wie ein Beobachter, ebenso ein Fantast wie ein
Diagnostiker.
An keinem Vorgang war dies in jüngster Zeit deutlicher zu beobachten als an dem gewaltigen Interpretationsspektakel mit dem die
kommentierende Klasse sich über die Weltfinanzkrise nach dem von den USA-Wirtschaftsstrategen bewusst herbeigeführten Zusammenbruch der Lehmann-Bank im Herbst 2008 ausließ. Der Tenor der Diagnosen ging damals
allgemein dahin, man werde die Welt nach der Überwindung der Krise nicht mehr wiedererkennen - so tief würden sich ihre Auswirkungen in die kollektive Mentalität einprägen und auf dem Umweg über den
Mentalitätsschwindel auch die Sphäre der Prozeduren und Strukturen umformen. Ein Jahr danach ist von den fabelhaften Prophezeiungen außer einem schlechten Nachgeschmack nichts mehr übrig. Der „Zeitgeist“, von
dem man glauben wollte, er hätte die Richtung zu radikaler Erneuerung eingeschlagen, hat sich für business as usual (----alles wie gewohnt) entschieden und will von großen Konversationen (----Gesprächen) nichts mehr hören.
Vor diesem Hintergrund werden die deutschen Wahlen vom September 2009 zeitdiagnostisch lesbar. Sie deuten an, was der „Zeitgeist“
heute wirklich im Schilde führt. An erster Stelle lassen sie etwas Erfreuliches erkennen: Die heutigen Deutschen haben eine nahezu unglaubliche Hysterieresistenz entwickelt. Diese erlaubt es ihnen, sich auch
dann für das Normale und Plausible zu entscheiden, wenn das politische Feuilleton (---- „Kultur“geplaudere) ihnen schon Ritter, Tod und Teufel an die Wand gemalt hat. Obgleich man es kaum für möglich hält: Die Deutschen sind binnen eines halben
Jahrhunderts, das sie in Wohlstand, Frieden und Harmlosigkeit verbrachten, ein Sovoir-vivre-Kollektiv (----sein Leben auf angenehme Art einrichtend) geworden, das sich so leicht von niemandem um den Verstand bringen lässt. Das galt schon für den gelassenen Umgang unserer Landsleute mit der
„Finanzkrisenpublizistik“ (----Finanzkrisenveröffentlichungen
im Bereich der Massenkommunikation) im Herbst 2008, die sie fast ungerührt an sich abtropfen ließen. Das gilt erst recht für ihre
letztlich so bodennahen wie vernünftigen Wahlentscheidungen am 27. September.
Dass beide Volksparteien große Verlierer sind, wurde vielfach gesagt und wird auch durch Wiederholungen nicht falsch. Was die klaren
Gewinner angeht, die Liberalen und die Linke, so bedeuten die Zuwächse, die sie erfahren haben, auf den ersten Blick nichts anderes als praktizierte Normalität. Nichts ist normaler und demokratischer als
die Tatsache, dass sich bei Wahlen Interessen in Präferenzen (----Präferenz bezeichnet den Vorzug oder die Begünstigung einer Alternative) übersetzen. Bemerkenswert ist aber, dass es in Deutschland zur Stunde offenbar nur zwei Gruppierungen gibt, die durch ihre prägnanten Interessen zu klaren Wahlentscheidungen motiviert sind, eben die Wähler der Linken und der FDP, während die übrigen es sich offenbar noch immer leisten können die Union, die SPD und die Grünen zu wählen, sei es aus Loyalität, aus Gewohnheit oder aufgrund von idealeren Motiven.
Auf den zweiten Blick taucht hinter der Plausibilität (----Stimmigkeit) des deutschen Wählerverhaltens eine stark veränderte
Konfliktlandschaft auf. Die Antithese zwischen der Linken und den Liberalen ist überaus bedeutungsvoll, um nicht zu sagen zukunftsentscheidend, weil sich in ihr eine bisher systematisch verschleierte
Polarisierung (----Gegensätzlichkeit) der
Gesellschaft in nie zuvor gesehener Klarheit artikuliert. Zum ersten Mal in der Geschichte der neueren deutschen Demokratie treten sich in den Gewinnern des 27. September 2009 zwei Gruppen gegenüber, die man so
noch nicht miteinander konfrontiert sah. Man möchte fast an einen „Klassen“gegensatz unbekannten Typs glauben, der bisher nicht bis zur offenen Kollision herangereift war. Definiert man den Marx`schen
Sprachgebrauch gemäß, durch die Stellung von sozialen Akteuren im „Produktionsprozess“, so sind die neuen Kontrahenten keine Klassen. Mit „Produktion“ hat ihre Entgegensetzung gerade nichts zu tun.
Ihre Rolle im System bestimmt sich vielmehr durch ihre Stellung im fiskalisch-monetären (----geldlichen) Prozess und im staatlich gesteuerten Umverteilungsgeschehen. Hier
finden wir in dem einen Lager die Steueraktiven, die den Fiskus mit ihren Abgaben bereichern, im anderen, vorsichtig gesprochen, die Steuerneutralen, die überwiegend von Transferleistungen profitieren.
An der neuen politischen Front stoßen also, um die Sache technischer auszudrücken, zwei finanzpolitische Großgruppen aufeinander:
hier die Transfermassengeber, die aufgrund von unumgehbaren Steuerpflichten die Kassen füllen, dort die Transfermassennehmer, die aufgrund von sozialpolitisch festgelegten Rechtsansprüchen die Kassen leeren.
Zentralstellung der Leistungsträger
Diese Kollision hat eine pikante Seite, weil sie von der herkömmlichen politischen Semantik (----Bedeutung, Inhalt) nicht erfasst wird. Auf dem linken Flügel ist man für die
neue Frontenbildung unsensibel, weil man sich dort immer noch an die abgenutzte, doch nie verabschiedete vulgärmarxinistische Vorstellung hält, die „Besserverdienenden“ und erst recht die Großverdiener seien in
letzter Instanz irgendwie allesamt „Ausbeuter“, denen es nur recht geschieht, wenn man ihnen einen kräftigen Teil ihrer „Diebstähle“ am Allgemeinreichtum fiskalisch wieder abnimmt. Wo Eigentum immer schon
Diebstahl bedeutet, wie Proudhon um 1840 dozierte ist Gegendiebstahl das Gebot des Ausgleichs.
- (----Proudhon war ein franz. Ökonom und Soziologe- meinte dies allerdings nicht im Marx`schen Sinne! Er gilt als einer der ersten Vertreter des Anarchismus. Er setzte sich für die Abschaffung der Ausbeutung und der Regierung des Menschen durch den Menschen ein. "Wer arbeitet, wird Eigentümer und zwar Eigentümer des Werts, den er geschaffen hat!" Er war ein Gegner von Marx und Engels, die revolutionäre Streiks der „Arbeiter“ befürworteten. Prodhon forderte weniger eine schlichte Anarchie (also eine Herrschaftslosigkeit) sondern er propagierte stattdessen eine dezentrale und föderalistische Struktur in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. – Allerdings möchte der Anarchismus auch, dass dabei staatliche und autoritäre Zwangsordnungen beseitigt sind)
Dann kann nur das adäquate (----angemessene) Ausmaß des Gegendiebstahls strittig sein: sei es, dass man mit Lenin auf einen Schlag das Ganze „zurück“ nimmt, sei es, dass man mit dem
strukturellen Sozialdemokratismus Jahr für Jahr die Hälfte aller Wertschöpfungen für den Fiskus reklamiert.
Aber auch auf dem rechten Flügel hat man an der neuen Konfliktlage keine wahre Freude, weil man dort nicht aufgehört hat, davon zu
träumen, wieder eine von allen Seiten wählbare Volkspartei zu bilden und keine bloße Leistungsträgerpartei zu sein. Zwar weiß man dort am besten, dass es fatal wäre, diese essenzielle (----wesentlich sehr notwendige) Gruppe zu verprellen, doch ist den
Unionsstrategen ebenso klar: Mit den Stimmen der starken Zahler allein kommt man mehrheitsmathematisch auf keinen grünen Zweig.
Im finanztheoretischen Jargon heißen Leistungsträger die 25 Millionen tatsächlich Steueraktiven, die vorläufig noch damit
einverstanden sind in Deutschland zu leben, und aus deren Einkommen sowie aus den davon abzuführenden Abgaben praktisch alles stammt, was die 82-Millionen Population des Landes am Leben hält. Wer es genauer
wissen will, kann offiziellen Tabellen die aktuellen Zahlen entnehmen: Allein das obere Zwanzigstel der Leistungsträger bestreitet gut 40% des Gesamtaufkommens an Einkommenssteuer, das obere Fünftel der
Leistungsträger 70 Prozent.
Die wirklichen Gewinner der Wahlen vom September sind aus dieser Perspektive betrachtet die Leistungsträger im eben definierten Sinn,
wenn auch Gewinner erst in zaghaften Umrissen. Sie lösen sich jetzt mit einem sachten Ruck aus ihren bisherigen volksparteilichen Verankerungen und finden bei den Liberalen fürs Erste so etwas wie eine
Auffangstation oder ein provisorisches Basislager, in dem man über die weitere Route diskutieren kann. Es wäre ein schwerer Fehler zu glauben, der FDP-Apparat könne sich von heute auf morgen seinem enormen
Erfolg gewachsen zeigen – nein, die Partei wird eine ganze Weile brauchen, um zu begreifen, wie ihr geschehen ist. Sie hat auch – nach dem Tod Dahrendorfs im Juli dieses Jahres - keinen theoretischen Kopf
mehr, der ihr erklären könnte, welches Mandat ihr durch die neuen Verhältnisse zuwächst.
- (Ralf Dahrendorf war ein
deutsch-britischer Soziologe und Politiker, der als Vordenker des Liberalismus gilt: Er war dabei ein Heiterer im Glauben an die Verbesserungsfähigkeit des Menschen und der Gesellschaft. Jede Form von Fanatismus verachtete er zutiefst, für ihn waren Konflikt und Dialog die Grundlage der „offenen Gesellschaft“ und zugleich Teil des gesitteten Umgangs. Für Dahrendorf war Soziologie, sein Haus-Ressort, kein akademisches Terrain fürs Ausprobieren neuer „Ismen“ oder Gegenwelten zum Begriff des Politischen. Eine Wissenschaft außerhalb der politischen Wirklichkeit war für ihn schlechterdings nicht denkbar. Das hätte nur neue Verführungen gebracht, nach utopischen Ufern Ausschau zu halten, nach geschlossenen Gebäuden. „Kultur darf sich nicht als Sondersphäre des Geistes abkapseln, sondern muss sich in der Einrichtung der Gesellschaft verwirklichen“ Und was ist diese „Einrichtung der Gesellschaft“? Herausforderung und Antwort, kurz: Gebändigter Konflikt als Grundvoraussetzung des demokratischen Fortschritts. Andererseits zieht eine Soziologie, die sich in der politischen Wirklichkeit verankert weiß, leicht den Vorwurf der Unverbindlichkeit auf sich, des Verschwommenen, ewig ausgesetzt der Permanenz von Veränderung. Dahrendorf hat darauf in seinen 2002 veröffentlichten Erinnerungsbuch, „Über Grenzen“, gezielt geantwortet: „Immerhin verlangt die Vermittlung des Unvermittelten Genauigkeit, wenn sie nicht zum Geschwafel werden soll“. Um diese Genauigkeit hat er zeitlebens gerungen, wozu auch gehörte, dass er Positionen überarbeiten, überwinden konnte, in ehrlichem Konflikt mit sich selber.)
Zur Stunde kann die FDP nicht einmal ihre 93 Sitze im Bundestag mit glaubhaften Kandidaten füllen, weil sie es bundesweit kaum noch
auf drei Dutzend vorzeigbare Leute bringt. Ihre parlamentarische Präsenz wird bis auf Weiteres in proportionalem Schausitzen bestehen – was freilich in noch höherem Maß für die 76 Abgeordneten der Linken gilt,
die bis auf Weiteres keine politische Kraft, sondern nur ein logistisches Problem darstellen.
In Wahrheit geht es jetzt nicht nur um einen Strukturwandel im Parteingefüge. Die Septemberwahlen lassen erkennen, dass ein
wesentlich tiefer eingreifender Umschwung begonnen hat. Wenn der Zeitgeist für diesmal nicht bloß ein literarisches Phantom, sondern ein effektiver psychopolitischer Vektor (----Träger) ist, so wird er für eine Mobilisierung sorgen, in deren Verlauf sich
die Gruppe der steueraktiven Bürger ihrer Bedeutung und Verantwortung für den Gang der Dinge in einem bisher unbekannten Maß bewusst wird. Damit geht ein langes ideologisches Regime zuende, das auf einer
polemischen (----streitbar kritischen)
Fehldeutung der poltisch-ökonomischen Beziehungen zwischen Gebern und Nehmern in der modernen Gesellschaft beruhte – einer Fehldeutung, die in der Regel mit einer groben Fehleinschätzung der nehmenden und
gebenden Staatstätigkeit Hand in Hand ging. Insbesondere haben Ricardo und Marx die folgenschwerste Verwirrung gestiftet, als sie dozierten, die „Wertschöpfung“ gehe letztlich ausschließlich auf den Faktor
„Arbeit“ zurück.
(----Obwohl
Ricardo seiner ökonomischen Analyse sonst Says Gesetz (----Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst) als gültig annimmt, hat er in seinem letzten Kapitel über das Maschinenwesen eingeräumt, dass technischer Fortschritt zur
Verringerung von Beschäftigung führen kann; diese Einstellung (----obgleich in der Gesamttheorie widersprüchlich) wurde von Marx als „wissenschaftlich objektiv“ geschätzt.)
Es gibt vermutlich keinen zweiten Fall in der Geschichte der Ideen, in dem ein theoretischer Irrtum so große praktische Folgen nach
sich zog. Auf ihn basiert ein bis heute virulentes (----ansteckendes) System der Leistungsträgerverleumdung, das sich über zweihundert Jahre von den Frühsozialisten bis zu den Postkommunisten erstreckt.
(---!) Der Zeitpunkt scheint gekommen, den Pflock endlich tief genug in den Boden einzuschlagen, damit nie wieder hinter die entscheidende Erkenntnis zurückgegangen wird: dass in der modernen, objektiv sozialdemokratischen Staats- und Gesellschaftswirklichkeit die Leistungsträger im genannten Sinn summa summarum zu einer gebenden Größe geworden sind. Sie können auf der Geberseite mit eindrucksvollen Summen in Erscheinung treten, weil sie und solange sie als Erwirtschafter von Einkommen nicht unbelohnt bleiben. Gewiss es gab und gibt hierbei Exzesse (----maßlose Handlungen), die nach Korrektur verlangen, im
21. Jahrhundert nicht anders als im 19. Jahrhundert. Wer aber reflexhaft „Kapitalismus“ ruft, beweist nur, dass er nichts begriffen hat.
Wir brauchen statt ökonomischer Halbgedanken ein neues und zu Ende gedachtes Modell vom Nexus (----Zusammenhang, Bindung) zwischen „Eigentum, Zins und Geld“ Im Klartext, es ist
Zeit, Gunnar Heinsohn zu lesen.
- (----Heinsohn ist Soziologe, seit Febr. 2009 im Ruhestand: Heinsohn hat als Professor in Bremen zu Problemen der Demographie gearbeitet. Ein Schwerpunkt bildet dabei die Geschichte und Theorie der Zivilisation. Sloterdijk empfiehlt z.B. das Buch „Söhne und Weltmacht“ als „Pflichtlektüre für Politiker und Feuilletonisten“)
Parteienpoker und Schicksalsfragen
Aus diesen Überlegungen ergibt sich der Gesichtspunkt, unter dem man die jetzt beginnenden
Transaktionen der Bundestagsparteien untereinander und ihre Sondierungsgespräche mit sich selbst evaluieren (----bewerten) kann.
Die Union wird ab sofort versuchen müssen, alles an althergebrachter Volksparteilichkeit zu retten, was davon heute überhaupt zu
retten ist. Das kann sie nur dann, wenn sie, als Agentur konservativer kleinbürgerlicher Milieus, als Drehscheibe rechtschaffener Kommunalpolitik, als Moderatorin der Realwirtschaft im Kleineren, Mittleren und
Großen, aber auch als anonyme Geschäftsführerein der objektiven Sozialdemokratie, einen klugen Ausgleich mit der jetzt klar gestärkten liberalen Agentur der Leistungsträger herbeiführt. Indem sie sich als
Seniorpartner mit dem vom Erfolg überraschten Junior verbündet, verbessert sie ihre eigenen Überlebenschancen erheblich: Sie könnte, wenn sie nicht kopflos agiert, die Leistungsträger wieder vermehrt auf ihre
Seite ziehen, ohne die prekären (----schwierigen) Existenzen allzu hart vor den Kopf zu stoßen.
Die Liberalen haben zugleich die einfachste und die schwierigste Aufgabe vor sich. Als klare Gewinner der jüngsten Wahlen müssen sie
im Umgang mit der Union demonstrieren, dass sie nicht vor lauter Erfolgsbegeisterung bereit sind, die Gründe ihres Erfolgs zu vergessen. Es ist ihre objektive Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der
Leistungsträgerkern der deutschen Population (----Bevölkerung) sich in Zukunft nicht nur fiskalisch stark mitgenommen fühlt, sondern sich endlich auch politisch, sozial und kulturell gewürdigt weiß. Es geht darum, eine
neue Semantik (----Bedeutung, Sinn) zu schaffen, die den Leistungsträgern als Gebern Genugtuung verschafft.
(----!) Eine solche Semantik setzt den Bruch mit der Mangelpflege voraus, sie verlangt eine Hinwendung zu einer wiedererwachenden Stolzkultur. Dazu gehört, dass man
Freiheitsmotive wieder höher veranschlagt. Es entspräche liberaler Tradition, sich zu weigern, das Interesse an Sicherheit bis zur Erbärmlichkeit voranzutreiben. Zu dieser Entwicklung könnte auch Guido
Westerwelle persönlich einiges beitragen, wenn es ihm gelingt, die Image-Passage vom alten Jüngling zum jungen Staatsmann zu bewältigen. Ein Schelm, wer ihm diese Metamorphose (----Verwandlung, Umgestaltung) schwerer machen will als nötig.
Die sozialdemokratische Partei steht vor einer Entscheidung, bei der sie in ihren internen Abgrund schaut. Sie ist als Volkspartei
beinahe ins Nichts gestürzt und muss die Wahl treffen, ihren Sturz fortzusetzen oder zu stoppen. Sie setzt ihn fort, wenn sie sich als Arbeitnehmerpartei unmöglich macht – und sie wird sich als solche unmöglich
machen, wenn sie in Koalitionen mit der postkommunistischen Linken dieser die Chance gibt, sich auf Kosten der großen alten SPD zu profilieren. Wenn also jemals Linksunion, dann nur unter strikter Dominanz der
Sozialdemokraten. Möchte die SPD für den unentbehrlichen Leistungsträgerkern der Gesellschaft wieder attraktiv werden, so kann sie das nur, wenn sie unmissverständlich klar macht: Sie will an erster Stelle den
berechtigten Stolz der Berufstätigen, der Steueraktiven und der sozial Mitfühlenden artikulieren; nur in zweiter Linie darf sie dabei mitwirken, der Wut der Arbeitslosen zu ihrem Recht zu verhelfen und die
Entmutigung der Ausgemusterten zu kompensieren. Die Partei steht heute an ihrem Abgrund, weil fast eine Hälfte von ihr zum Selbstmord nach links bereit ist. Diese gefährdete Hälfte sollte dem weisen Klaus von
Dohnanyi zuhören, wenn er ihr erklärt, dass die Partei nur wieder auf die Füße kommt, sofern es ihr gelingt, die linke Mitte zurückzugewinnen. An die Mitte kommt nur heran, wer es nicht verlernt, zu den
Leistungsträgern zureden.
Die Linke kann das nicht, und sie will es nicht. Weil sie es aus tiefer sitzenden Gründen nicht kann und aus opportunen (----in der gegenwärtigen Situation nicht angebrachten) Gründen nicht
will, hat sie es aufgegeben, es zu versuchen. Die Linke entwickelt keine Sprache, die an die Gesellschaft im Ganzen adressiert ist. Es genügt ihr zu trommeln und ihre Klientel zu sammeln, die zum größten Teil
aus den erfolgloseren Segmenten der Bevölkerung besteht. Weil auch für diese Gruppe Repräsentation und Ausdruck unentbehrlich sind, muss man die Existenz der Linken begrüßen. Sobald diese durch Koalitionen in
Regierungen eintritt, wird sie beweisen müssen, ob sie verstanden hat, dass eine Partei von Nehmern mit der Zeit ins komische Fach überwechselt, wenn sie sich weiter als Speerspitze der Ausgebeuteten darstellt.
Die Grünen schließlich sind heute die politische Gruppierung, die sich mit der größten Gelassenheit auf den Oppositionsbänken
niederlassen darf, weil sie sicher sein kann, der Lauf der Dinge setzt ihre Themen eher früher als später wieder ganz vorne auf die Tagesordnung. In dieser Hinsicht haben sie einiges mit der tragischen
Sozialdemokratie gemeinsam, denn der Staat der Zukunft wird nicht nur objektiv sozialdemokratisch, sondern auch objektiv grün sein müssen. Die tiefgrünen Grünen dürfen und sollen in gewisser Weise ihr eigenes
Überflüssigwerden wollen, weil ihre Sache zu wichtig ist, um nur im kleinen Rahmen einer Aspektpartei verwaltet zu werden. Die Zweit ist nicht fern, in der jede Regierung so grün sein muss, dass es eine Frage
zweiten Ranges sein wird, ob explizite Grüne an ihr beteiligt sein werden oder nicht.
Signal
Kurzum, der Geist der Zeit sendet neue Signale. Es wäre fatal (----unangenehm und peinlich), sie nicht empfangen zu wollen. Die festgeschriebenen
Identitäten, die Parteiträgheiten, die selbstgefälligen Meinungskonglomerate (----Meinungsanhäufungen) – sie taugen angesichts neuer Verhältnisse wenig. Wer nur „meint“, lebt in der Vergangenheit. Wer sich nur selbst zitiert, ist überholt. Wir
müssen die Fenster öffnen, um denen, die als Zuwanderer bei uns erfolgreich werden wollen, die Chance zu geben, in Kooperation und Wettbewerb mit den heimischen Leistungsträgern den Wohlstand zu erzeugen, der
zur Hälfte ihnen selbst und zur Hälfte unserem Gemeinwesen weiterhilft.
“Hand in Hand” bedeutet Mach mit bedeutet Wir sind Deutschland!
Frankfurter Schule Als „Frankfurter Schule“ wird die Gruppe neo(neu-)marxistischer Wissenschaftler bezeichnet, die um das in Frankfurt am Main angesiedelte
Institut für Sozialforschung versammelt sind und sich als Vertreter der dort begründeten „Kritischen Theorie“ sehen.
Kern der dialektischen „Kritischen Theorie“ der Frankfurter Schule (----Dialektik ist eine Arbeitsmethode die sich der der gegensätzlichen Äußerungen, These/Antithese bedient, um daraus (möglicherweise) eine höherer Art
der Erkenntnis zu gewinnen sucht) ist die ideologiekritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und historischen Bedingungen der (----jeweiligen) Theoriebildung. Mit dieser Kritik gesellschaftlicher Zusammenhänge ist in der Frankfurter Schule gleichzeitig der Anspruch verbunden, die Gesamtheit
gesellschaftlicher Verhältnisse und die Notwendigkeit ihrer Veränderung begrifflich zu durchdringen. (----Anm. zum
besseren Verständnis: nur begrifflich und nicht möglicherweise durch solche auf diese Weise erfolgten und erarbeiteten Erkenntnisse in das Gesellschaftliche Geschehen dann vielleicht auch mitwirkend oder
handelnd)
Die „Kritische Theorie“ der Frankfurter Schule selbst wird vor allem hinsichtlich zweier Aspekte kritisiert:
- Die intellektuelle Perspektive der Frankfurter Schule sei in Wirklichkeit eine romantische, elitäre Kritik der Massenkultur im
neomarxistischen Gewand: Was die dortigen Theoretiker wirklich ärgere, sei nicht die soziale Unterdrückung, sondern die Tatsache, dass die Masse Ian Fleming und den Beatles gegenüber Samuel Beckett und
Anton Weber den Vorzug geben.
- Aus marxistischer Sicht wird kritisiert, das die „Kritische Theorie“ selbst eine Form des bürgerlichen Idealismus darstelle, die keine
inhärente (ihm innewohnende, das Zusammengehörende betreffende) Beziehung zur politischen Praxis habe und damit von jeder revolutionären Bewegung isoliert sei.
Georg Lukacs pointierte diese Kritik mit folgendem Bild; die Mitglieder der Frankfurter Schule lebten in einem „Grand Hotel Abgrund“, von dessen Terrasse aus sie bei einem Aperitif das Elend der Welt betrachten.
2010 Wettbewerb: Neues Spiel!
Die Herausforderung an die Wirtschaft
: Wachstum trotz Grenzüberschreitung!
Spielimpuls: Steigerung der Lebensqualität in Zeiten der Ressourcenknappheit
Die Unternehmerin Susanne Henkel sagt: “Wir sind gerüstet!” Hier klicken! zum Artikel im Tagesspiegel.
Sie auch?
An die Politik: Die Möglichkeiten/Regelungen schaffen, damit ein Umsetzen überhaupt gelingen kann! Wir alle sind das Volk!
Die Zeit ist reif
für einen neuen Freiheitswind in Deutschland!
Gefordert: Ein Aufbruch der Leistungsträger!
Das Ziel des Spiels
Dezisionismus ist eine politische und juristische Theorie, die die Entscheidung und den
Entscheider in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt. Sie hält weniger den Inhalt einer Entscheidung für wichtig, als die Entscheidung an sich. Ihr zufolge kann es keine allgemein
verbindlichen Begründungen für Werte oder moralische Positionen geben. Daher sei die Entscheidung von Menschen für diese oder jene Handlung letztlich willkürlich und nicht mit den
Mitteln logischer Analyse oder anhand ethischer Kriterien zu rechtfertigen.
Der Terminus „Dezisionismus“ ist von „Dezision“ (lat. für Entscheidung) abgeleitet. Der Begriff wurde
insbesondere von Carl Schmitt in die staats- und verfassungstheoretische Diskussion eingebracht.
Dem Dezisionismus liegt die im Kern schon im mittelalterlichen Universalienstreit formulierte
Anschauung zugrunde, dass ethische und moralische Postulate keine „platonischen“ ewigen Wesenheiten sind, die wir zu erkennen und anzuerkennen haben, sondern geistige Vorstellungen,
für oder gegen die entschieden werden kann und muss: „Das Gute ist das Gute, weil Gott es in seiner Allmacht so wollte. Er hätte auch anders entscheiden können, sonst wäre er nicht allmächtig.“
Daran anknüpfend betonte Thomas Hobbes, dass die gesellschaftliche Geltung jeder Norm auf der
Entscheidungsmacht beruht. Diese wies er dem Staat zu in der Erwartung, durch staatliche Entscheidung die Gefahr religiöser Bürgerkriege zu bannen: ‚Autoritas, non veritas facit legem’
entzog jedem die Legitimation, der für „seine Wahrheit“ andere zu todeswürdigen Ketzern oder Verbrechern erklärte.
Der wertfreie, rein wissenschaftliche „deskriptive Dezisionismus“ Panajotis Kondylis besagt, dass
im zwischenmenschlichen Leben ausnahmslos alle ethischen, moralphilosophischen und rechtstheoretischen Forderungen auf der Entscheidung konkreter Menschen für oder gegen ihre
Geltung beruhen. Es gibt keine höheren Mächte oder Instanzen, die uns die Last der Entscheidung wie auch die Freiheit zur Entscheidung abnehmen.
Die dezisionistische Grundthese wurde geistesgeschichtlich in sehr unterschiedlich ambitionierten
Theorien als Baustein verwendet. Das war möglich, weil sie eo ipso wertfrei ist und selbst in antagonistische Weltbilder integriert werden kann. Dabei treten immer dann Selbstwidersprüche auf,
wenn die Theorie dezisionistisch ansetzt, aber ungewollt normative Komponenten enthält. Eine existentialistische oder voluntaristische Theorie, die etwa besagt: „Alle Normen gelten erst qua
Entscheidung für sie, also sollen wir entscheiden“, enthält einen Widerspruch in sich, weil die dezisionistische These (Alles ist Entscheidungssache) mit der normativen Komponente („also
sollen wir entscheiden“) unvereinbar ist.
Zu den Vielen, die dezisionistische Grundannahmen in ihren Theorien anwandten, gehört Carl
Schmitt. Seine Anschauungen beruhen auf einem primär katholischen Weltbild, dessen Glaubensinhalte Schmitt als Wahrheiten voraussetzt und keiner dezisionistischen Entscheidung
aussetzt. Darum war Schmitt in keiner seiner Schaffensphasen konsequenter Dezisionist, sondern nutzte dezisionistische Argumente zeitweise zur Stützung jeweiliger inhaltlicher Positionen.
Besonders im Rahmen seiner christlichen Glaubenspostulate benutzte er dezisionistische Argumente und verachtet im Anschluss an Donoso Cortes die kompromissbereite „diskutierende
Klasse“ mit ihrem Liberalismus und Parlamentarismus, weil es aus Glaubenssicht widersinnig ist, über feststehende Wahrheiten zu diskutieren oder sie einem Kompromiss auszusetzen.
Im Übrigen erscheint der Dezisionismus in verschiedenen Kontexten: dem rechtstheoretischen,
dem moralphilosophischen und dem sozialwissenschaftlichen Kontext.
In der juristischen Diskussion besagt der Dezisionismus, dass rechtliche Normen niemals auf
menschlicher Setzung entzogenen „übergesetzliche“ Normen beruhen, sondern ausschließlich auf einem Rechtssetzungsakt eines konkreten, menschlicher Gesetzgebers, also letztlich auf
willkürlicher freier Entscheidung. Der Dezisionimus steht daher dem Vorwurf ausgesetzt, letztendlich subjektiv und willkürlich zu sein. Es ist aber keineswegs Inhalt dezisionistischer Theorie
, Gesetze sollten willkürlich gesetzt werden, sondern nur die Feststellung, dass es faktisch so ist. Kritikern zufolge verkürze der juristische Dezisionismus den Begriff des Rechts auf einzelne Regeln.
Vielmehr müsse man das Recht als Einheit aus Regeln und zugrunde liegenden Rechtsprinzipien begreifen. Der Rechtsanwender müsse nur anhand der Regeln und Prinzipien eine Entscheidung
finden, die sich mit den Mitteln einer juristischen Argumentation begründen lasse. Dem entgegnet der Dezisionismus, dass es keine „zugrundeliegendenden Rechtsprinzipien“ gibt außer eben
solchen, die zuvor als Rechtsprinzipien qua Willensaktes aufgestellt worden sind.
In der moralphilosophischen Diskussion besagt der Dezisionismus, dass jeder Versuch der
Moralbegründung in letzter Hinsicht auf ihrerseits nicht weiter begründbare Entscheidungen rekurrieren müsse. Er trifft sich damit mit der von dem Schmitt-Schüler Ernst-Wolfgang Böckenförde
aufgestellten These, wonach der moderne Rechtsstaat auf Voraussetzungen beruhe, die er selbst nicht zu garantieren vermag (sog. Böckenförde-Diktum).
In der soziologischen und politologischen Diskussion (insbesondere Habermas) ist der
Dezisionismus weniger an C. Schmitt orientiert. Er bezeichnet hier eine Rollentrennung zwischen Experten und Entscheidern. Wissenschaftler sollten die Entscheidung über Ziele und Mittel des
Handelns der Politik überlassen und sich selbst darauf beschränken, Wissen zur Zielerreichung zur Verfügung zu stellen.
“Hand in Hand” bedeutet Mach mit bedeutet Wir sind Deutschland!
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Manifest „Du bist Deutschland“
Ein Schmetterling kann ein Taifun auslösen. Der Windstoß, der durch seinen Flügelschlag verdrängt
wird, entwurzelt vielleicht ein paar Kilometer weiter Bäume. Genauso, wie sich ein Lufthauch zu einem Sturm entwickelt, kann Deine Tat wirken. Unrealistisch?, sagst Du? Warum feuerst Du dann
Deine Mannschaft im Stadion an, wenn Deine Stimme so unwichtig ist? Wieso schwenkst Du Fahnen, während Schumacher seine Runden dreht? Du kennst die Antwort: Weil aus Deiner Flagge
viele werden und aus Deiner Stimme ein ganzer Chor. Du bist von allem ein Teil. Und alles ist ein Teil von Dir.
Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern. Er lässt Deinen Lieblingsstürmer schneller laufen und
Schumi schneller fahren. Egal, wo Du arbeitest. Egal, welche Position Du hast. Du hältst den Laden zusammen. Du bist der Laden.
Unsere Zeit schmeckt nicht nach Zuckerwatte. Das will auch niemand behaupten. Mag sein, Du
stehst mit dem Rücken zur Wand oder dem Gesicht zur Mauer. Doch einmal haben wir schon gemeinsam eine Mauer niedergerissen. Deutschland hat genug Hände, um sie einander zu reichen
und anzupacken. Wir sind 82 Millionen. Machen wir uns die Hände schmutzig. Du bist die Hand. Du bist 82 Millionen.
Also: Wie wäre es, wenn Du Dich mal wieder selbst anfeuerst? Gib nicht nur auf der Autobahn Gas.
Geh runter von der Bremse. Es gibt keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Deutschlandbahn. Frage nicht, was die anderen für Dich tun, Du bist die anderen.
Behandle Dein Land doch einfach wie einen guten Freund. Meditiere nicht über ihn, sondern biete
ihm Deine Hilfe an. Bring die beste Leistung zu der Du fähig bist, übertriff Dich selbst. Schlag mit Deinen Flügeln und reiß Bäume aus. Du bist die Flügel, Du bist der Baum.
Mach mit! Hand in Hand! Jetzt! “
Hand in Hand! “Ist doch alles nur für uns!
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Die Welt online am 3.Juli 2012
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Schwächen im System
Auflösungserscheinung der demokratischen Ordnung
Der Bundespräsident, die
Justizministerin und Altkanzler Schmidt bedrängen die Verfassungsrichter. Gleichzeitig steht der Verfassungsschutz unter Terrorverdacht – und die Parlamente sind ohnmächtig. Von
Günther Lachmann
Foto: Versuchen in der Schuldenkrise auf
das Bundesverfassungsgericht Einfluss zu nehmen: Bundespräsident Joachim Gauck, Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger und Altkanzler Helmut Schmidt:...
Erst tat es Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel, dann tat es Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und jetzt war sich nicht einmal
mehr der Grandseigneur der deutschen Politik, Altkanzler Helmut Schmidt, zu schade, die Souveränität des höchsten deutschen Gerichtes zu untergraben.
Wegen der vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Klagen gegen den Europäischen
Stabilitätsmechanismus (ESM) forderte er die Richter auf, sich zu einem klaren Kurs zu bekennen, berichtet "Spiegel Online".
Gerade auch für die Deutschen seien nun "Entschlusskraft und Opferbereitschaft dringend geboten"
, sagte der 93-Jährige in einer Rede vor der Atlantik-Brücke in Berlin. Und: "Man muss sein Herz über die Hürde werfen. Das gilt ganz gewiss auch für uns Deutsche und ganz gewiss auch für das
Bundesverfassungsgericht."
Massive Form der Einflussnahme
Während Gauck und Leutheusser-Schnarrenberger den Verfassungsrichtern mehr oder weniger
verklausuliert zuriefen, sie hätten den politischen Willen der Herrschenden nicht zu konterkarieren, fordert Schmidt offen ein den machtpolitischen Interessen der Staats- und Regierungschefs der
Euro-Gruppe entsprechendes Urteil ein.
Das ist an sich schon ein unerhörter Vorgang. In diesem historischen Augenblick jedoch, da
Parlamente im Hauruck-Verfahren die Machtstatik Europas neu austarieren, indem sie unter dem Druck der Regierenden nationale Souveränitätsrechte aufgeben, da sie Schulden in Billionenhöhe
vergemeinschaften und mit dem ESM die vielleicht mächtigste Finanzbehörde der Welt schaffen, ist diese massive Form der Einflussnahme auf die Hüter der Demokratie geradezu ein Anschlag auf dieselbe.
Sinkende Wahlbeteiligung und erodierende Parteien
Ein Cartoon mit freundlicher Genehmigung von Harm Bengen hier eingefügt - Link
Als wäre die Demokratie durch die noch immer sinkende Wahlbeteiligung und die erodierende
Parteien nicht schon geschwächt genug. Der Bürger verharrt in tiefem Misstrauen gegenüber der Politik und spätestens seit den skandalösen Vorfällen beim Verfassungsschutz auch gegenüber
den demokratischen Institutionen des Staates.
Und wer möchte es ihm verübeln? Ausgerechnet an jenem Tag, an dem der Generalbundesanwalt
die Ermittlungen gegen die Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) übernahm, schredderten Verfassungsschützer gleich bändeweise Akten von V-Leuten, die für den
Geheimdienst in der Szene operierten. Wenn der Inlandsgeheimdienst tatsächlich in den mörderischen Terror der Rechtsextremisten verstrickt sein sollte, dann ist vom Rechtsstaat, der
eigentlich die Freiheit seiner Bürger und die Demokratie schützen sollte, nicht mehr viel übrig.
Inkorrekte Abstimmungsunterlagen
Und dann sind da noch die Abstimmungen über den Fiskalpakt und den ESM in Bundestag und
Bundesrat. Es ist schlicht unfassbar, warum Parlamentarier und Vertreter der Länder so etwas mitmachen. Denn als sie die Abstimmungsunterlagen am 29. März das erste Mal berieten, fehlte
darin glatt der komplette Teil über die Beteiligungsrechte des Bundestages! An der betreffenden Stelle fand sich nur eine Klammer mit Pünktchen.
Nicht einmal als Abgeordnete und Ländervertreter dann in freitäglichen Nachtsitzungen endgültig
den folgenschweren Gesetzen zustimmten, waren die Abstimmungsunterlagen korrekt. Es fehlten die vom EU-Gipfel tags zuvor beschlossenen Änderungen. Weder die Direktzahlung von
Milliardenhilfen an die Großbanken durch den ESM war darin aufgeführt, noch die vom Gipfel beschlossenen Finanzhilfe-Instrumente.
Geringschätzung gegenüber dem Parlament
Kann eine Regierung ihre Geringschätzung gegenüber dem Parlament und damit gegenüber der
Demokratie noch stärker zum Ausdruck bringen? Aber es stellt sich im Gegenzug auch die Frage, wie diese Abgeordneten und Ländervertreter ihr Verhalten gegenüber den Wählern rechtfertigen
wollen. Ob sie sich der Gefahr bewusst sind, die heraufzieht, wenn das Volk sich von ihnen abwendet?
Jeder der geschilderten Fälle für sich genommen zeigt bereits gravierende Schwächen im
demokratischen System auf. Durch ihr zeitgleiches Auftreten können sie bereits als Auflösungserscheinungen der demokratischen Ordnung interpretiert werden.
Kommentar AGW: “Ja, es stimmt so einiges nicht mehr bei uns in Deutschland, denn
das sind Wir heute: Ein eingeschüchtertes, wie gelähmtes, von einer wirklichen Demokratie weit entfernte und daher wohl stille Volk! Wer lenkt eigentlich die Geschicke unseres Landes? Und was
können wir tun? Sloterdijk hat sich in seiner Analyse mit Aufruf für einen neuen Freiheitwind in Deutschland übrigens dieselben Fragen gestellt! Interessant und empfehlenswert zu lesen.
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