Deister- und Weserzeitung Hameln                                                   Dewezet

 

 

    Hässliche Löcher und eine öde Seenplatte

    Weserbergland. Firmenpleiten, Wegzug florierender Unternehmen, drohende Überalterung, hohe Arbeitslosenquote – das Weserbergland ist derzeit alles andere als eine Boom-Region. Mit öffentlichen Programmen soll die Attraktivität der Region gesteigert werden, soll sich die Region zwischen Hannover und dem Ostwestfälisch-Lippischen Raum wieder nach vorn entwickeln. Allen diesen Aktionen gemeinsam: Der Tourismus wird als ein Motor künftiger Entwicklungen angesehen. Millionen fließen daher in den vermeintlichen Zukunftssektor; Millionen, deren Nutzen aber zugleich von den meist selben handelnden Behörden und Personen wieder infrage gestellt wird. Weil dem hemmungslosen Raubbau am touristischen Kapital der Region Tür und Tor geöffnet wird: Natur und Landschaft in Weserbergland und Wesertal werden geopfert, Steinbrüche und Kiesteiche fressen sich in Berge und Flussniederung, öde Steinwüsten und tote Seenplatten bleiben zurück – da wendet sich der Tourist mit Grausen.

    Mehr als 30 noch aktive Abbaugebiete weisen die Landkreise Schaumburg und Hameln-Pyrmont bereits heute aus; hinzu kommen ungezählte aufgelassene Steinbrüche und Kiesteiche in der Region und den benachbarten Landkreisen. Mitten in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete in Niedersachsen sind so schon mehr als 30 000 Hektar lebens- und liebenswerter Natur unwiederbringlich zerstört worden. Und weitere tausende von Hektar werden folgen, wenn der nach immer mehr Abbauflächen gierenden Steine- und Erdenindustrie nicht Einhalt geboten wird.

    Einer Industrie, die längst ihre einstige Bedeutung als kleine regionale Versorgungswirtschaft abgestreift hat und heute im großen Stil im Weserbergland gewonnenes Material hunderte von Kilometern im Umkreis verteilt. Mit einer weiteren Folge für die Region: Es gibt nicht mehr den kleinen Kieswerk-Betreiber oder den einzelnen Steinbruchbetrieb. Das Geschäft machen Konzerne, die nicht in der Region beheimatet sind. Und auch als Arbeitgeber spielen sie keine Rolle mehr: Nur noch eine Handvoll Leute ist in einem Steinbruch beschäftigt.

    Das Ende dieses zerstörerischen Werkes ist noch lange nicht in Sicht: Ob das jüngst durch Kabinettbeschluss vorerst gerettete Dachtelfeld im Süntel (105 Hektar), der Möncheberg zwischen Rohden und Deckbergen (190 Hektar), der Oberberg zwischen Deckbergen und Bernsen (50 Hektar) oder die Luhdener Klippe/Hainholz bei Rinteln (95 Hektar): Alle Berge sind potenzielle Lagerstätten; alle Berge sind bei der Nachmeldung für FFH-Flächen nicht berücksichtigt worden; für alle Berge gibt es Interessenten; alle Berge sollen auf der Nordseite abgetragen werden. Im Klartext würde das bedeuten: Vom bereits großflächig zerstörten Ith über den auf allen Seiten angeknabberten Süntel bis weit nach Nordrhein-Westfalen hinein würde die gesamte Weserbergkette dem Gesteinsabbau geopfert, würden Wandergebiete und naturnaher Lebensraum unwiederbringbar zerstört werden.

    Das Ganze läuft unter der schönen Überschrift ,,Sicherung der Versorgung mit heimischen Rohstoffen“, wobei die Realität schon längst eine andere ist: Versorgt wird mit diesen Rohstoffen nicht nur das Weserbergland, sondern der gesamte norddeutsche Raum einschließlich der angrenzenden Gebiete Nordrhein-Westfalens und Hollands.

    Dabei ist schon heute klar, dass die zur Zeit betriebenen Steinbrüche, die zum Teil noch über erhebliche Erweiterungsflächen verfügen, für die nächsten Jahrzehnte ausreichen werden. Auch wenn keine neuen Abbaugenehmigungen erteilt werden, sind Versorgungsengpässe auszuschließen, zumal die heimische Natursteinindustrie zunehmend Konkurrenz bekommt: Aus Polen, Schottland und Skandinavien, aber auch aus dem eigenen Land, weil sich immer mehr Unternehmen mit Recycling befassen und Material aus Abbruch und Straßenrückbau aufbereiten.

    Qualitativ ist das recycelte Material ebenbürtig, dennoch werden nach einer Studie der Recyclingwirtschaft in Niedersachen gerade mal 17 Prozent verwertet – die niedrigste Quote in ganz Deutschland. Mit bisweilen skurrilen Ergebnissen: Während frisch gebrochenes Material aus Steinbrüchen hinausgefahren wird, karren ganze Lkw-Konvois Boden- und Bauschutt wieder hinein, um die immer tiefer werdenden Löcher wenigstens teilweise wieder zuzuschütten. Dessen ungeachtet beharrt die Steine- und Erdenindustrie auf der Ausbeutung immer neuer Lagerstätten, verlangt zur Absicherung ihrer Investitionen Planungssicherheit, wie sie keinem Wirtschaftszweig in Deutschland zugestanden werden kann. 150 Jahre, so die These der Industrie, müsse sie im Voraus planen können – in dieser zurückliegenden Periode wurden Auto und Flugzeug, Dampfschiff und Mondraketen erfunden, die amtlich verbriefte 150jährige Planungssicherheit hätte den Erbauern von Pferdekutschen wohl auch nichts genutzt.

    Wurden Steinbrüche und Kiesteiche früher eher unkritisch gesehen, so hat sich die Haltung weiter Kreise der Bevölkerung seit nahezu zwei Jahrzehnten grundsätzlich gewandelt. Angefangen am Ith, wo schon vor 20 Jahren eine Bürgerinitiative unter dem Motto ,,Rettet den Ith“ zusammentrat über die großen Proteste zu Beginn der 90er Jahre gegen eine Zerstörung des Mönchebergs zwischen Rohden und Deckbergen bis hin zur Aktionsgemeinschaft Weserbergland, die heute den Widerstand gegen den weiteren Gesteinsabbau trägt, war und ist allen diesen Initiativen eines gemeinsam: Sie vereinen Menschen allen Alters und aller politischer Richtungen, Menschen, die sich für den Erhalt von Natur und Landschaft einsetzen und die sich mit der Zerstörung ihrer Heimat nicht abfinden wollen. www.weserberge.de   Dewezet, 17.05.2004

    Steinbrüche in der Region

    list_symbol   Das Weserbergland: Eine Beschäftigungsbilanz

    list_symbol   Die Aktionsgemeinschaft Weserbergland

    list_symbol   Der Naturpark Weserbergland Schaumburg Hameln