Versuche zum Verstehen
Ein Donnerstagabend im November, in einer Kneipe irgendwo in Schaumburg. Kein Laden, der sich plötzlich “Bistro” oder “Pup” nennen
würde - und kulinarische Ansprüche werden allenfalls durch eine Bohnensuppe aus der Dose, eine Bockwurst oder ein Käsebrot abgedeckt. Die Resopaltische wirken wie aus dem Designmuseum der 50er Jahre und die Pokale
der örtlichen Vereine sind zwar immer noch blank geputzt, verweisen aber noch auf Erfolge des letzten Jahrhunderts im vorigen Jahrtausend. Hier nun bin ich für zwei Stunden gestrandet, da meine Verabredung
ausgefallen ist und die Abholung erst für zwei Stunden später terminiert wurde.
Was bleibt mir da übrig, als Gesprächen fremder Leute zu lauschen? Immerhin geht es um ein Thema, das mich interessiert. Um rutschende
Berge, um die von Sandgruben zerfressenen Urwälder unserer Kindheit und darum, wie wohl Genehmigungen für den Abbau zustande gekommen sind. ”Stand ja gestern alles in der Zeitung!” Natürlich wird dabei reichlich
falsch Zeugnis abgelegt. Die in der Verwaltung mit den Anträgen Beschäftigten - woher haben die wohl das Material bekommen für die Bodenplatte ihrer neuen Doppelgarage? Und weshalb hat die Tochter von dem einen aus
dem Amt jetzt einen Job im Kindergarten? Und glaubt ihr etwa, so ein Ratsherr oder Kreistagsabgeordneter zahlt nur einen Cent, wenn er Kies für den Gartenweg benötigt? Korruptionsvorwürfe vom Massivsten. Da werden
Namen genannt und Zeugen zitiert und am Ende ist alles reinste Mafia.
Das stimmt natürlich nicht. Aber die Leute reden so. Weil sie sich nicht vorstellen können, warum unsere Heimat auf alle Zeit
verschleudert wird, wobei es nicht mal die Meistbietenden sind, die den Zuschlag bekommen.
Und ich denke mir, wie gut wäre, wenn die Verantwortlichen solche Gespräche mal als Mäuschen unter der Sitzbank
mitbekommen könnten - da, wo mit zwei Bierdeckeln die Stabilität hergestellt wird, die unsere Berge längst nicht mehr haben. Vielleicht würden sie sich empören, dass ihre guten Absichten und Entscheidungen nach
Recht und Gesetz vom undankbaren Bürger so fehlinterpretiert werden.
Vielleicht würden sie aber auch darüber nachdenken, warum ihnen sonst so wohlmeinende Bürger solche Schurkenstücke unterstellen.
Vielleicht deshalb, weil dies die einfachste Möglichkeit ist, unverantwortlichen Verhalten der Verantwortlichen irgendwie zu verstehen? SchaumburgerZeitung17.11.08
Ulrich Reineking, Rinteln
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